Wenn wir an Gesundheit und Wachstum von Menschen denken, ist die Fähigkeit, sich Herausforderungen zu stellen und diese zu meistern (Resilienz) zentral.
Wenn Fachkräfte von Resilienz sprechen, geht es hierbei um den „Widerstand“ mit herausfordernden Situationen umzugehen. Resilienz beschreibt die Fähigkeit von Personen, Gemeinschaften, aber auch Systemen, schwierige (Lebens-)Situationen, Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen. (Quelle: Lexikon | BMZ / Stand 02.09.2022). Das lateinische Wort resilio bedeutet so viel wie abprallen oder zurückspringen. Das ursprünglich aus technischen Prozessen stammende Wort meint nicht, dass wir nie Stress empfinden, sondern vielmehr, dass wir einen Umgang mit ihm finden, so dass dieser zu keiner dauerhaften Belastung führt.
In der Pädagogik blicken wir dabei auf die uns anvertrauten Kinder, denen wir diese Stärke mitgeben möchten, um trotz Risiken oder Bedrohungen, Entwicklungsaufgaben und die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Hierbei ist der Raum von Kindergärten von zentraler Bedeutung, um die Lebenswelten der Kinder wahrzunehmen, Horizonte zu weiten, die Vielfalt der mitgebrachten Fähigkeiten in den Blick zu nehmen und allen Kindern Möglichkeiten zum Wachsen zu ermöglichen.
Über das Projekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ werden Horizonte eröffnet, die es Einrichtungen ermöglichen, in sich als Kindergarten (System), als Team (Gemeinschaft) und individuell (Fachkraft, Steuerungsteam) zu wachsen. Solche Wachstumsprozesse beinhalten, dass sich Fachkräfte unterschiedlicher Professionen als multiprofessionelle Teams erleben dürfen und sich dabei Perspektiven als Erfahrungshorizonte weiten.
Wenn man auf die geschaffenen Rahmenbedingungen im Projekt schaut, ist das Steuerungsteam mit dem Blick eines resilienten Teams, ein stärkendes Element dessen. Dies wiederum wirkt auf die Kinder und deren Fähigkeit zur Resilienz.
Dr. Florian Roth vom Competence Center Politik und Gesellschaft Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI beschäftigt sich mit der Frage, wie systemische Resilienz gefördert und dadurch Transformationsprozesse gemeistert werden können. „Anstatt vor der nächsten Krise nur Symptome zu bekämpfen (Single-Loop-Learning), sollte die Frage nach den Ursachen gestellt werden (Double-Loop-Learning).“ (Quelle: Systemische Resilienz bei Unternehmen | EY – Deutschland /Stand: 02.09.2022)
Aufbauend auf dem Resilienz-Begriff stellt Roth die Fähigkeit, dass nicht notwendigerweise die Rückkehr in den Systemzustand vor einem Ereignis, sondern eine kontinuierliche Anpassung unter sich verändernden Umweltbedingungen, ins Zentrum für Organisationen und Systeme für langfristige Entwicklungen.
Es ist unabdingbar, den Begriff „Resilienz“ in der Pädagogik und im sozialen Bereich weiter zu denken. Die Notwendigkeit stetiger Anpassung und Veränderung beschreibt der israelische Wissenschaftler Yuval Noah Harari in seinem Buch „21. Lektionen für das 21. Jahrhundert“ als Antwort auf die Frage: „Was sollten wir unterrichten?“ wie folgt:
„Zahlreiche Fachpädagogen behaupten, Schulen sollen sich auf die Vermittlung der vier Ks verlegen – kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration und Kreativität. Allgemeiner sollten Schulen weniger Wert auf technisches Können legen und stattdessen universell anwendbare Lebensfertigkeiten in den Mittelpunkt rücken. Am aller wichtigsten wird die Fähigkeit sein, mit Veränderung umzugehen, neue Dinge zu lernen und in unvertrauten Situationen das seelische Gleichgewicht zu wahren. Wollen wir mit der Welt des Jahres 2050 Schritt hatlen, müssen wir nicht nur neue Ideen und Produkte erfinden- wir müssen vor allem uns selbst immer wieder neu erfinden.“ (2018, S.402)
Änderungen, Anpassungen sowie Neufindung erfordern die Fähigkeit des Einzelnen und gleichzeitig die Notwendigkeit von veränderungsbereiten Systemen.
Forschende am Fraunhofer ISI nutzen das Konzept der Resilienz und beschreiben Faktoren gelingender Transformationsprozesse für Systeme. Nötig dafür sind vorausschauendes Führungsdenken und mehr Freiheiten für Mitarbeiter:innen. Bei einem generell positiven Framing von Weiterentwicklung im Unternehmen verstehen Menschen, dass sie selber vom Wandel profitieren. Für Resilienz sind die Prinzipien der Selbstorganisation, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung entscheidend.
In Arbeitsprozessen bedeutet das, nicht alles rein hierarchisch vorzuschreiben, demokratische Entscheidungsprozesse und Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen, Mitarbeiter:innen den Freiraum zu geben, dort Kompetenzen aufzubauen, wo sie es selbst für richtig halten und Projektaufgaben mit Leben direkt in der Praxis zu füllen. Das in der Organisation vorhandene oder neu gewonnene Wissen ist zusammenzutragen, möglichst breit zu nutzen, zu systematisieren, einzuüben und stetig zu reflektieren, um Sicherheit in den aktuellen Arbeitsaufgaben zu gewinnen und adäquat auf sich stetig verändernde Umwelten zu reagieren.
Wie in der Stressbewältigungs-Theorie deutlich wird, lernen wir am besten in der „Komfortzone“. Die Zone, in der wir uns sicher fühlen und die dennoch einen Rahmen zum Ausprobieren bietet und in der wir Vertrauen zu uns und in das Umfeld haben. In der TPS (Theorie und Praxis der Sozialpädagogik) Spezial 10/20 steht beschrieben, dass Vertrauen in die Umwelt und in das Gegenüber als zentrales Element zu betrachten ist, um Welt zu erleben und begreifbar zu machen. Hierzu ist die positive zugewandte Haltung der erwachsenen Begleitung zentral, um das Gefühl „Ich bin richtig, so wie ich bin“ erlebbar zu machen, um sich somit „Selbst bewusst“ zu werden.
Im Sinne des Bezuges der TPS auf den Philosophen und Pädagogen Eduard Spranger: „Vertrauen ist nur begrenzt technisch herstellbar und muss von reifen, reflektierten, vertrauensvollen Erwachsenen hergerufen werden“ (TPS Spezial 10/20, S. 53), schafft das Modellprojekt Rahmen, in dem für die Einrichtungen bedarfsorientierte Räume geschaffen werden, um somit alle Menschen im System der jeweiligen Einrichtung sehen und begleiten zu können. Den Kindern wird ein Rahmen des vorurteilsbewussten Raums zum Wachsen ermöglicht und Fachkräften ein Rahmen zum gemeinsamen Zusammenwachsen, durch die Begegnungen und Weiterentwicklung sich „Selbst bewusst Werdens“ geschaffen.
Elke Lorenz und Juliane Dando
Fachberatung im Thüringer Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen”