Intersektionalität

Der in den letzten Jahren immer populärer gewordene Ansatz der Intersekionalität nimmt vor allem Fragen der  sozialen Ungleichheit sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick (Walgenbach 2017, S. 66f.), hat aber auch innerhalb der pädagogischen Praxis inzwischen eine große Resonanz erfahren.

Im Folgenden wird der Begriff Schwarz mit großen „S“ geschrieben, wie inzwischen in vielen Arbeiten üblich geworden ist. Der Begriff Schwarz soll nicht als Adjektiv im Sinne einer Eigenschaft verstanden werden, sondern als soziale Konstruktion und politische Selbstermächtigung.

Der Begriff Intersektionalität – englisch intersectionality – bedeutet frei übersetzt so viel wie ‚Überkreuzung‘ oder ‚Verwobenheit‘. Gemeint ist, dass verschiedene Formen von Dis kriminierung (wie z.B. Rassismus, Sexismus und Adultismus) zusammenwirken und zu Herabwürdigungen, Verletzungen und Ausgrenzungen gegen die betroffene Person führen können.

Die Ursprünge der Theorie liegen in der US-amerikanischen Schwarzen Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre (ebd. S. 56). Es war die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw, die den Begriff Intersektionalität als erste definierte. In ihrem inzwischen berühmt gewordenen Aufsatz Demarginalizing the Intersection of Race and Sex (1989) analysierte sie die ausgrenzenden Wirkungen und die systematische Schlechterstellung des amerikanischen Antidiskriminierungsgesetzes gegenüber Schwarzen Frauen. Obwohl das Gesetz vor Diskriminierung schützen sollte, wurden die spezifischen Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen als solche nicht anerkannt.

Das Problem lag darin, dass eine Diskriminierung vor Gericht nur dann anerkannt wurde, wenn eindeutig geklärt werden konnte, ob es sich um eine rassistische, sexistische oder an dere diskriminierende Verletzung handelte (Crenshaw 1989, S. 149). In Fällen, in denen verschiedene Diskriminierungs formen wie Rassismus und Sexismus zusammenwirken, wur de der Anklage entweder nicht stattgegeben oder nur in ei nem sehr begrenzten Ausmaß. Crenshaw verweist in Bezug auf Rassismus und Sexismus darauf, dass Diskriminierung häufig implizit wirkt und deswegen oft nur dann erkannt wird, wenn diese eindeutig und explizit wahrnehmbar ist (ebd., S. 151). Aber genau das macht es Betroffenen schwer, diskriminierende Erfahrungen anzu zeigen und in ihrer Wahrnehmung und Erfahrung auch ernst genommen zu werden, gerade wenn sie auf mehrfache Wei se von Diskriminierung betroffen sind. Daher ist es aus der Perspektive der Intersektionalität wichtig, dass Päd agog:innen eine prinzipielle Offenheit gegenüber konkreten Lebenslagen von Menschen sowie ihren spezifischen Erfah rungen von Ausgrenzung einüben und sich sensibilisieren.

Was bedeutet dies für die Praxis? Da junge Menschen und El tern von unterschiedlichen Formen von Diskriminierung betroffen sein können, sollten Pädagog:innen danach fragen, mit welchen Hintergründen, Abwertungen und diskriminie renden Zuschreibungen die einzelnen Personen und die Familie im Ganzen betroffen sind. Wichtig ist, wie Rudolf Leiprecht hervorhebt, dass „soziale Prozesse, Erfahrungen und Erwartungen wirklich zur Sprache kommen und gemeinsam reflektiert werden können.“ (Leiprecht 2017, S. 59) Es kommt nicht darauf an, eine ideale Lösung zu finden, sondern einen gemeinsamen Prozess zu initiieren, der die individuelle Entwicklung und Bildungschancen des Kindes im Blick hat.

Die Metapher der Straßenkreuzung
Häufig wird im Zusammenhang mit intersektionalen Ansätzen die Metapher der Straßenkreuzung bemüht, wie sie auch von Kimberlé Crenshaw entwickelt und verwendet wurde (Crenshaw 1989, S. 149). Die Metapher der Straßenkreuzung will sagen, dass Personen, die mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind, entweder von der einen oder der anderen Seite, manchmal auch von allen Seiten zugleich Diskriminierung erleben können. Bildlich gesprochen kann es also zu einem Unfall entweder aus der einen Straßenrichtung (z.B. im Sinne rassistischer Diskriminierung) oder aus der anderen Straßenrichtung (z.B. sexistische Diskriminierung) oder aus allen Straßenrichtungen zugleich (durch Rassismus und Sexismus) kommen, da die betroffene Person als mehrfach diskriminierte auf der Mitte der Kreuzung steht. Wichtig ist, dass intersektionale Ansätze Diskriminierungsformen nicht einfach aufaddieren, sondern die Überlappung als eigenständige Form der Ausgrenzung, Verletzung und Unterdrückung analysieren.

Literatur:
Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antirascist Politics. In: University of Chicago Legal Forum, Iss. 1, Article 8.
Leiprecht, Rudolf (2017): Diversität und Intersektionalität. In: Polat, Ayça (Hrsg.): Migration und Soziale Arbeit. Wissen, Haltung, Handlung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 51-60.
Walgenbach, Katharina (2017): Heterogenität – Intersektionalität – Diversität: in der Erziehungswissenschaft. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.