Am 10.03.2022 veranstaltete die Fachhochschule Erfurt im Rahmen der Wissenschaftlichen Begleitung im Thüringer Modellprojekt „Vielfalt vor Ort begegnen“ eine fachöffentliche Tagung mit dem Titel „Kindergarten. Vielfalt. Inklusion“. Aufgrund der hohen Corona-Inzidenzzahlen musste die Veranstaltung digital stattfinden und wir konnten über 170 Teilnehmende und Referierende aus dem Modellprojekt und aus ganz Deutschland begrüßen. Inhaltlich widmete sich die Veranstaltung dem Thema Vielfalt und Inklusion in Kindergärten Thüringens. Als Lernort, welcher den Heranwachsenden einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung bieten soll, stehen Kindergärten vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Lebensbezüge der Kinder wahrzunehmen, sie in ihrer Individualität anzuerkennen und zu fördern. Diskriminierende und benachteiligende Strukturen müssen sukzessive abgebaut und angstfreie Räume der individuellen Anerkennung geschaffen werden. Damit dies gelingen kann, etablieren Kindergärten Strukturen und Praktiken, die eine inklusive sowie diversitätssensible Pädagogik ermöglichen.
Die FH Erfurt organisierte den Fachtag, um Einblicke aus der Forschung und der Praxis im Themenbereich Vielfalt und Inklusion zu eröffnen und vielfältige Impulse zu geben. Den Grußworten des Thüringer Staatssekretärs für Bildung, Jugend und Sport Prof. Dr. Winfried Speitkamp (TMBJS) und der Vizepräsidentin für Kommunikation und Kultur der FH Erfurt Prof.in Dr. Sabine Brunner folgten Impulsvorträge von Prof.in Dr. Michaela Rißmann (FH Erfurt) zu „Inklusion – ein pädagogisches Projekt?“ und Petra Wagner (ISTA) zu „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung als inklusives Praxiskonzept“.
Überschattet von den Ereignissen des Ukraine-Krieges, wiesen alle Redner:innen auf die Bedeutung diversitätssensibler Bildung sowie einer inklusiven Haltung und Praxis als Beitrag zur Friedenserziehung hin. So hob Michaela Rißmann in Anlehnung an Theodor W. Adorno die Aufgabe der Pädagogik hervor, die Autonomie von Kindern zu fördern und Widerspruch und Nein-Sagen-Können zu einem entscheidenden Element demokratischer Bildung zu machen. Weiterhin zeigte sie in ihrem Vortrag, dass Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Sie arbeitete die Grundlagen zur Inklusion als Leitbild in Kindergärten heraus – gerade, wenn diese als Bildungsorte verstanden werden – und stellte verschiedene Konzepte inklusiver Bildung vor. Daran anschließend präsentierte Petra Wagner das Konzept der vorurteilsbewussten Erziehung und verdeutlichte es anhand vielfältiger Praxisbeispiele aus dem Kindergartenalltag.
In der Mittagspause konnten die Teilnehmenden über die digitale Plattform wonder.me unterschiedliche Projekte und Vereine kennenlernen sowie mit anderen Teilnehmenden in den Austausch kommen, sich vernetzen oder Kurzvorträgen lauschen. Anschließend folgten am Nachmittag zwei Phasen mit parallellaufenden Panels. Themen waren der Index für Inklusion, gendersensible Pädagogik, Mehrsprachigkeit und Diversity, Demokratiebildung, Kinder in Armutslagen, Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen bei Kindern, Kindergärten im Sozialraum, rassismuskritische Bildung und Möglichkeiten der inklusiven Nutzung des digitalen Raums.
Panel 1 beschäftigte sich mit dem „Index für Inklusion“. Als Referent:innen waren Maria Hösel, Mitglied des Arbeitskreises Inklusion beim Hauptvorstand der GEW und Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Brandenburg, und Anke Mamat, Leiterin und Referentin bei Kolleg Querwege e. V. und Fachberaterin bei Querwege e. V., geladen, die Moderation übernahm Michaela Rißmann, Professorin für Erziehungswissenschaften und eine der drei Leiterinnen des Projekts WisBeV. Der Index für Inklusion stellt ein Instrument dar, um in Kindertageseinrichtungen eine inklusive Entwicklung und diversitätssensible Praktiken zu reflektieren und voranzubringen. Über differenzierte Indikatoren können dabei die drei Dimensionen a) Inklusive Leitlinien etablieren, b) inklusive Praxis entwickeln und c) inklusive Kulturen entfalten, bearbeitet werden. Ziel war es, dass die Teilnehmenden eine Vorstellung entwickeln können, wie sie den Index für Inklusion im eigenen Kindergarten gewinnbringend anwenden können.
Um „Geschlechtersensible Pädagogik im Kindergarten-Alltag“ ging es im Panel 2. Sandy Arnold von TIAM – Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V. war als Referent:in geladen, Susanne Zeltwanger übernahm die Moderation. Das Thema Gender steht in den gesellschaftlichen Diskursen zunehmend und mit immer größerer Dringlichkeit im Fokus, so auch im pädagogischen Alltag. Dabei gilt es stereotype geschlechtliche Zuschreibungen zu vermeiden und eine Sensibilität für geschlechtliche Vielfalt zu entwickeln.
Im Panel 3, welcher als Workshop organisiert wurde, ging es um „Mehrsprachigkeit und Diversity“. Als Referent:innen waren Miriam Weilbrenner, Fachliche Begleitung des
Bundestransfers und Referentin im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, und Gökhan Kabaca, Diplom Pädagoge mit dem Schwerpunkt Beratung und Schulung im Bundestransferteam für Griffbereit und Rucksack KiTa, geladen, die Moderation übernahm Nadia von Heyden. Ziel des Panels war es, darzulegen, dass es einer diversitätsbewussten und mehrsprachig ausgerichteten frühen Bildung bedarf, um Benachteiligungen abzubauen und alle Kinder optimal zu fördern.
Panel 4 widmete sich der „Demokratiebildung in Kindergärten“. Als Referent:innen waren Stefan Heerdegen von der „Mobilen Beratung in Thüringen. Für Demokratie, gegen Rechtsextremismus“ sowie Petra Wagner vom „ISTA – Institut für den Situationsansatz. Fachstelle Kinderwelten“ geladen, Therese Herold moderierte. Im Zentrum stand die Frage, was Kindergärten leisten können, um als Bildungseinrichtung demokratische Werte zu leben und zu vermitteln. Hierbei spielt es eine große Rolle, wie antidemokratische Meinungen identifiziert und wie dagegen vorgegangen werden kann. Wichtig dabei ist, dass die Kindergarten-Mitarbeiter:innen gemeinsam eine eigene demokratische Haltung entwickeln und im Arbeitsalltag lernen, mit Problemlagen des Rechtsextremismus umgehen zu können.
Panel 5 nahm sich des Themas „Kinder in Armutslagen“ an. Für das Panel referierten Barbara Lochner, Professorin für Pädagogik der Kindheit mit dem Schwerpunkt Leiten und Führen sowie Projektleiterin vom WisBeV, und Sandra Hörner, Bildungsmanagerin M.A, Kindheitspädagogin B.A., Dialogische Qualitätsentwicklerin, Fachberaterin, Fortbildungsreferentin und Prozessbegleiterin für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung und zu Themen der Frühpädagogik. Die Moderation übernahm Julia Bartholome. Kinder in Armutslagen zu fördern, stellt eine ernstzunehmende und schwierige Herausforderung dar. Zuerst stellte Prof.in Dr. Barbara Lochner einige Ergebnisse des Forschungsprojektes „Umgang mit und Deutungen von Armut in Kindertagesstätten“ vor. Anschließend wurden gemeinsam mit Sandra Hörner Anknüpfungspunkte und Praxisbezüge herausgearbeitet.
Im Panel 6 ging es um die Frage des Kindeswohls und was bei „Kindern mit Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen“ für Kindergartenmitarbeiter:innen zu tun sei. Als freie Referentin sprach Kathrin Rudolf, die als insoweit erfahrene Fachkraft beim „Perspektiv e.V., offen – dialogisch – kompetent“ tätig ist, die Moderation übernahm Stephan Langenhan. Der Vortrag fokussierte auf die Abläufe einer professionellen Prozessbegleitung. Um Kindeswohl effektiv durchsetzen zu können, gilt es, Gefährdungslagen frühzeitig zu erkennen, genau zu dokumentieren und das eigene regionale und institutionelle Hilfsnetzwerk in den Prozess miteinzubeziehen.
Im Panel 7 stand das Thema „Kindergarten im Sozialraum“ im Fokus. Als Referent:innen waren geladen Alexander Gans vom „Kinderschutzbund Thüringen“ und Praxisbegleiter des Projektes „Lebens(t)raum – Kinder gestalten mit!“, Beanke Juch, Leiterin des Kindergartens „Kleine Entdecker“, welcher am Projekt „Lebens(t)raum – Kinder gestalten mit!“ teilnahm, und Dr. Ulrike Igel Vertretungsprofessorin für Soziale Arbeit im Sozialraum der Fachhochschule Erfurt. Moderiert wurde das Panel von Dorothea Junk. Um deutlich zu machen, wie eine Beteiligung von Kindern im Sozialraum realistisch umsetzbar ist und welche Rollen die pädagogischen Fachkräfte dabei einnehmen, ist es entscheidend, dass die Handlungsebenen der Kinder, Familien und des Sozialraumes genau in den Blick genommen und verknüpft werden. So können durch eine genaue Sozialraumerkundung konkrete Handlungsmöglichkeiten eröffnet und Impulse für die praktische Umsetzung im Kinderalltag gegeben werden.
Um „rassismuskritische Bildung als grundlegendes Recht“ ging es im Panel 8. Referiert haben Dr. Seyran Bostanci vom „Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung“ und die Diskriminierungsbeauftragte für Schulen und Kitas in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg Olenka Bordo Benavides, die Moderation übernahm Lorena Oppelt. Grundlegend für das Panel waren Einblicke in die Forschung zum Thema institutioneller Rassismus in Kindertageseinrichtungen im postmigrantischen Berlin. Darauf bezugnehmend wurde herausgestellt, dass es für Beschäftigte von Bildungseinrichtungen entscheidend ist, dass sie eine diskriminierungskritische Wahrnehmung, Haltung und Handlung entwickeln.
Panel 9 widmete sich dem Thema: „den digitalen Raum im Kindergarten nutzen, Inklusion erlebbar machen“. Das Panel fand in Form einer Digitalwerkstatt statt und wurde von der Firma HABA Familygroup organisiert. Herausgestellt wurde, dass sich für gelebte Inklusion im Kindergarten der digitale Raum als Begegnungsstätte besonders eignet. Denn dort, wo Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten gemeinsam ein neues Thema erschließen, können neue Formen der Begegnung und des Kennlernens stattfinden und die Beteiligten sich gegenseitig in ihren Fähigkeiten befördern.
Für die rege Beteiligung sowie die vielfältigen Beiträge bedanken wir uns bei den Teilnehmenden und Referierenden auf der Veranstaltung und freuen uns bereits auf den nächsten Fachtag im Herbst (08.09.2022) an der FH Erfurt.