Die Kita als diskriminierungssensibler Ort (Kindergarten Sonnenschein in Weimar)

Mit dem multikulturellen und multinationalen Team im rassismuskritischen Prozess – Ein Erfahrungsbericht des Kindergarten Sonnenschein des AWO Regionalverbandes Mitte-West-Thüringen e.V.  in Weimar

„Und da merken die Kolleg:innen: Das ist doch in meinem Alltag! Das ist doch so nah! Ich dachte immer das ist ganz weit weg!“  B. Ziegenhagen

Rassismuskritik ist heute in aller Munde, doch was genau verbirgt sich dahinter? Was hat dieses Thema mit jeder:m Einzelnen und mit der Institution Kindergarten zu tun? Benjamin Ziegenhagen, der Leiter des Kindergartens Sonnenschein der AWO Weimar, hat sich mit seinem Team diesen Fragen gestellt und berichtet über die Erfahrungen mit dem rassismuskritischen Prozess in seiner Einrichtung.

Die Motivation, aktiv in diesen Prozess zu gehen, ergab sich während der Adventsgespräche im Dezember 2020 als Herr Ziegenhagen die Leitung der Kita übernahm. Es gab Mitarbeitende, die sich im Team nicht richtig akzeptiert fühlten und von Situationen berichteten, die für sie diskriminierend waren. Häufig war es den Betreffenden jedoch gar nicht bewusst, dass ihre Äußerungen rassistisch waren.

Daher entschloss sich der Leiter mit dem Team in einen tieferen Prozess zu gehen. Insgesamt wurden seitdem bereits zwei thematische Blöcke mit unterschiedlichem Fokus durchgeführt und ein weiterer ist für Anfang 2022 geplant. Der Austausch findet in kleinen Gruppen von drei bis fünf Mitarbeitenden statt, um einen sicheren Raum für einen offenen Austausch zu schaffen. Die erste Sequenz beinhaltete eine Sensibilisierungsphase, in der erst einmal besprochen wurde, was Rassismus genau umfasst und auch Raum dafür war, dass jede:r die eigene Sichtweise einbringen konnte. Die Aussagen wurden dann in einen fachlichen Hintergrund eingeordnet. Ausgehend davon wurde im zweiten Teil tiefer in Inhalte diskriminierungssensibler Pädagogik eingestiegen. In Begleitung durch die Kindersprachbrücke Jena wurden dazu Differenzkategorien wie Sprache, Alter, Geschlecht, Religion u.s.w. konkret besprochen. In diesem Teil wurde zudem über die rechtlichen Grundlagen von Antidiskriminierung gesprochen.

Wichtig war hierbei eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, die auch nach außen hin als eine Art Hausregel aktiv kommuniziert und vertreten wird. Hierdurch ist es möglich, bei diskriminierenden und rassistischen Äußerungen klar sagen zu können: „Das hat hier bei uns keinen Platz.“

Um die Situation der Betroffenen von Alltagsrassismus und struktureller Diskriminierung besser nachvollziehen zu können, wurden Filmbeispiele gezeigt, die einen Perspektivwechsel ermöglichten und mehr Informationen über die Lebensumstände von z. B. Menschen mit Fluchtbiographie vermittelten. Im nächsten Schritt hat sich das Team mit konkreten Beispielen aus dem nahen Lebensumfeld beschäftigt. Diskutiert wurde, wie man sich positionieren kann, wenn man Zeuge rassistischer Handlungen wird.

Dabei waren Fragen wichtig wie: Was kann man machen? Wie weit kann ich gehen? Wann muss ich mich selber schützen? Was kann man sagen?

In drittem Block soll anhand von Rollenspielen geübt werden, sich in beispielhafte Situationen aus dem Kitaalltag zu begeben, um daran konkretes Agieren und Argumentieren zu üben und darüber zu reflektieren. Hierdurch kann sichergestellt werden, dass sich die gemeinsam entwickelte Haltung in der täglichen pädagogischen Arbeit, also im Kontakt und Dialog mit den Kindern und Eltern, widerspiegelt.

Wichtig ist es dem Team auch, die Eltern in diesem Prozess mitzunehmen, um gemeinsam den inklusiven Prozess zu gestalten. Hierzu werden in Elternabenden Themen aufgegriffen wie Stigmatisierung, Rassismus, Sexismus und Inklusion. Dadurch sei bereits ein offener Austausch entstanden. So haben sich Eltern nach diesen thematischen Elternabenden ermutigt gefühlt, schwierige und diskriminierende Situationen konkret anzusprechen. Mit den aufkommenden Themen setzt sich das Team dann aktiv auseinander. Dabei sind unterschiedliche Fragen wichtig: Wie habe ich reagiert? Wie hätte ich besser reagieren können?

Die Eltern sollen sagen können: Hier in der Kita da fühle ich mich wohl, da kann ich das ansprechen, da wird darauf geachtet.

Zudem gibt es im Kindergarten ein multikulturelles und multinationales Team. Eine wichtige Motivation für den rassismuskritischen Prozess war daher auch, dass sie ebenso wie keine Kinder und Eltern auch keine Kolleg:innen benachteiligen wollen. Dass die Kolleginnen im Rahmen des Vielfaltprojektes im Team tätig sind, ist bereits ein Ergebnis des aktiven Prozesses. Nur ein Jahr nach Beginn, im Dezember 2021, sind drei neue Kolleginnen aus unterschiedlichen Herkunftsländern für das Team gewonnen worden, die mit insgesamt sieben Sprachen den Kindern und deren Eltern im Kitaalltag zur Verfügung stehen.

Für die aus 16 Nationen stammenden Familien ist dies ein großer Gewinn, der gewährleistet, dass alle Familien mit ihren Erfahrungen, Sorgen und Problemen gehört werden und ihren Platz in der Kita finden können. Dies ist eine Herausforderung, der sich das Team stellt und auch zukünftig im Rahmen ihres Kompetenz-Prozesses stellen wird.

Verfasserin: Nadia v. Heyden nach einem Interview vom 25.11.2021 mit Benjamin Ziegenhagen